„Dulden heißt beleidigen.“ – Warum Toleranz alleine nicht genügt.

In unserer modernen Gesellschaft prallen mannigfaltige Meinungen und Anschauungen, religiöse Überzeugungen und Lebensentwürfe oftmals ungebremst aufeinander. Hieraus resultieren Streit, Diskussionen und nicht selten Formen körperlicher Gewalt oder sogar Terror.

Worum geht es eigentlich im Kern, wenn Kulturen, Denkweisen oder persönliche Überzeugungen aufeinandertreffen? Was wäre notwendig, um eine wirklich offene, pluralistische und freiheitliche Gesellschaft zu verwirklichen? Und wie können wir diese Erkenntnisse für unsere Organisationen nutzvoll einsetzen?

Egal, ob es um religiöse Überzeugungen, Hautfarbe, Gender Identity, Behinderung oder Alter geht, in unserer Gesellschaft existieren Unterschiede in den Köpfen. Und ein friedliches Zusammenleben ist nur dann möglich, wenn ein Gelten- und Gewährenlassen fremder Überzeugungen, Handlungsweisen, Sitten und Werte gegeben ist. Mit anderen Worten: wenn tolerant miteinander umgegangen wird.

Toleranz hat Geschichte

Bereits im römischen Reich wurden die Religionen unterworfener Völker toleriert, sofern sie die göttliche Verehrung des Kaisers als einigendes Band des Staates akzeptierten. 1598 gewährte Heinrich IV. mit dem Edikt von Nantes den Hugenotten in Frankreich religiöse Toleranz und erlaubte ihnen die Ausübung ihrer Religion im katholischen Frankreich. Lessing hat im Nathan der Weise in der Ringparabel wohl eines der bekanntesten Bilder für religiöse Toleranz geschaffen.

Im Zeitalter der Aufklärung wurde die Toleranzidee dann über die religiöse Duldung ausgeweitet auf generell anders Denkende und Handelnde. Toleranz wurde auch bei stark abweichender persönlicher Meinung zu einer Frage der political correctness, frei nach dem Motto: „Ich verachte Ihrer Meinung. Aber ich würde mein Leben dafür geben, dass Sie sie äußern dürfen.“ (Voltaire).

Alles ist relativ, oder?

Toleranz geht davon aus, dass es „die“ Wahrheit im Besitz von Einzelnen oder Gruppen nicht gibt und dass eine Freiheit gegenüber dem als Wahrheit Angesehenen notwendig ist. Dies führte in unserer westlichen, aufgeklärten Welt zur uneingeschränkten Glaubens- und Gewissensfreiheit, zu den Grundrechten und in jüngerer Zeit zu Antidiskriminierungsrechten der Europäischen Union.

Doch reicht Toleranz aus, um ein friedliches Zusammenleben von Menschen unterschiedlicher Religion, Hautfarbe und Identität zu gewährleisten?

Toleranz lässt sich gesetzlich verordnen, ja. Und die Geschichte zeigt, dass durch Toleranz Ungleichheiten zementiert werden. Das Edikt von Nantes erlaubte den Hugenotten zwar die Religionsfreiheit und erkannte sie als französische Staatsbürger an, fixierte aber gleichzeitig ihren Status als Bürger zweiter Klasse.

Solange Menschen „fremder“ religiöser Überzeugung, Menschen „anderer“ Hautfarbe oder Gesichtszügen oder einer vom Mainstream abweichenden Identität bloß toleriert werden, werden weiter Unterschiede gemacht. Andere Lebensformen und Überzeugungen werden feierlich „geduldet“, solange sie nicht gegen gesetzliche Normen verstoßen. Innerlich verurteilen kann und darf man sie dann noch immer. Und für Stammtischparolen oder diskriminierende Witze reicht es allemal. Inklusion im Groben bewirkt also Exklusion im Feinen und führt nicht wirklich zu einem respektvollen Miteinander.

Toleranz < Wertschätzung

Goethe schrieb in seinen Maximen und Reflexionen: „Toleranz sollte eigentlich nur eine vorübergehende Gesinnung sein: Sie muss zur Anerkennung führen. Dulden heißt beleidigen.“

Wie kommen wir also von der bloßen Duldung, von der Beleidigung zur wirklichen Anerkennung? Wie gelangt man von Toleranz zur Akzeptanz? Und – ist dies überhaupt notwendig, oder reicht Duldung gegenüber anderen Meinungen, Überzeugungen, Religionen und Lebensformen nicht vollkommen aus?

Wir meinen: nein! Tolerieren heißt hinnehmen eines Unterschiedes, der immer noch gemacht wird. Fürwahr ein wichtiger Schritt. Und wer ein wirklich respektvolles Miteinander will, kommt um Akzeptanz nicht herum. Akzeptieren hingegen heißt annehmen und ist getragen von Respekt für die Meinungen und Überzeugungen des Anderen, auch wenn man sie persönlich nicht teilt.

Dies bedeutet nicht, dass man nicht klar Position beziehen dürfe. Und eine Positionierung aus Akzeptanz heraus kommt in der Form anders daher als eine Positionierung aus einer inneren Verurteilung heraus. Wenn keiner im Besitz „der Wahrheit“ ist, dann machen Widerstand, Ver- oder Beurteilungen anderer Denk- und Sichtweisen keinen Sinn. Ebensowenig das Absolutsetzen der eigenen religiösen, politischen oder lebensanschaulichen Standpunkte und Überzeugungen.

Gesellschaftlich kann Akzeptanz nicht eingefordert oder erzwungen werden. Es gibt weder einen rechtlichen, noch einen moralischen Anspruch darauf, Akzeptanz zu erfahren. Aber sie kann sehr wohl erarbeitet werden. Wo Akzeptanz vorweilt, herrschen Respekt und ein wirklich friedvolles und befruchtendes Zusammensein.

Was lernen wir hieraus für unsere Organisationen und Unternehmen?

Unsere Unternehmen leben von einer stetigen Weiterentwicklung in Richtung Zukunft. Innovationen in Prozessen, Strukturen, Produkten und Dienstleistungen sind oftmals überlebensnotwendig. Hierfür bedarf es einer Vielfalt unterschiedlicher Ideen.

Und wie oft werden wir Zeuge, dass Vorschläge abgebügelt werden, ohne dass sie bis zum Ende angehört werden? Wie oft kommt es vor, dass Überzeugungen belächelt werden, nach dem Motto „Ich weiß ja schon, was von dem Mitarbeiter kommen wird.“ Und wie oft erwischen wir uns selbst dabei, die Schublade mental bereits herausgezogen zu haben, bevor wir den Anderen richtig kennen gelernt haben?

Stellen Sie sich einmal vor, es gelänge in Ihrer Organisation ein respektvolles und pluralistisches Miteinander zu verwirklichen, getragen von gegenseitiger Akzeptanz. Vorurteilsfreie Begegnungen, keine Unterschiede mehr in den Köpfen, und das Ganze getragen von Ihnen als Vorbild. Wirkliches, ehrliches Bejahen anderer Meinungen, Überzeugungen und Vorgehensweisen. Und dann ein sachliches, produktives Evaluieren in Anlehnung an Ihre unternehmerischen Ziele. Welchen Vorteil würde ein solches Miteinander für Ihr Vorankommen bieten?

Also, dulden Sie andere Denkweisen, Überzeugungen und Lebensentwürfe nicht nur, sondern bringen Sie ihnen wirkliche Akzeptanz entgegen. Dann können Sie Ihren „Antidiskriminierungsbeauftragten“ getrost eine neue Position zuweisen! Lassen Sie sich inspirieren von einem pluralistischen, respektvollen und dadurch produktiven Miteinander. Und leisten Sie so einen Beitrag zum gesellschaftlichen Wandel.