Humanes Führen – oder „Zuerst Sie, dann die Anderen!“

„Noch nie wurde meines Erachtens so viel über Werteorientierung, Nachhaltigkeit und Ethik gesprochen wie in den letzten fünf Jahren, und gleichzeitig wurde gegen diese Grundsätze noch nie so stark verstoßen.“ – Helmut Maucher, Ex-Vorstand von Nestlé S.A.

Eine Fülle von guten Managementbüchern, ein Heer von Beratern und vielerorts etablierte innerbetriebliche Aus- und Fortbildungen haben in den vergangenen Jahren mit dazu beigetragen, dass das Anforderungsprofil an die moderne Führungskraft geschärft wurde. Welche Erwartungen werden heutzutage an Führungspersönlichkeiten gerichtet?

Der moderne Manager muss über Fachwissen verfügen, sich in finanziellen Kennzahlen auskennen, die Zukunftsfähigkeit des Unternehmens garantieren, Ziele und Prioritäten setzen können. Dabei sollte er stets sich selbst, die Zeit und seine Mitarbeiter managen, effektiv sein und motivieren können (oder zumindest Demotivation vermeiden). Und natürlich soll er noch die Zusammenarbeit organisieren, Teams führen, gruppendynamische Prozesse lenken und Konflikte bewältigen. Und das ganze am liebsten in einer lernenden Organisation und ausgerichtet auf den übergeordneten Zweck der Unternehmung. Last but not least sollte der moderne Manager eine charismatische Persönlichkeit sein, die positiv und konstruktiv denkt und handelt, Vertrauen schafft und Mitarbeiter kontinuierlich weiterentwickelt.

Hey! Die Wirtschaft hat die „eierlegende Wollmilchsau“ gefunden! Eine Mischung aus Jack Welch, George Clooney und Joachim Löw.

Und die Realität? Wie sieht die vielerorts aus? Die kontinuierliche Führungsarbeit wird den oftmals ad-hoc zu erledigenden operativen Notwendigkeiten geopfert. Ein Gespräch in ruhigem Rahmen? Fehlanzeige. Die notwendige Investition in sich selbst und ins eigene Fortkommen? Verschoben zugunsten spontanem Aktionismus. Die Vorbildfunktion, das eigene Verhalten zu erkennen, zu kontrollieren und wo nötig anzupassen? Den wildernden Emotionen zum Opfer gefallen!

Und wenn dann das operative Geschäft leidet, dann wird die moderne Allzweckwaffe gezogen: Es werden schleunigst Mitarbeiterbefragungen in Auftrag gegeben, um zu eruieren, wo es denn nun haken könnte: In welchem Team? Bei welchem Mitarbeiter? Und zuallerletzt denkt der Manager an sich selbst... Wir fordern daher: Schluss mit den Dauerbefragungen der Mitarbeiter – her mit Evaluationen der Führungskräfte und Leitenden (und zwar aller Ebenen, auch der Aufsichtsräte).

Die Anforderungen an heutige Führungskräfte sind hinsichtlich Kenntnisse, Fertigkeiten, Verhalten und Einstellung vielerorts definiert und damit präsent. Doch was ist der eigentliche Kit für alle diese notwendigen Eigenschaften? Der Stoff, der dafür sorgt, dass Kommunikation, Führen und Managen funktionieren – für sich selbst, mit einzelnen Mitarbeitern, im Team, innerhalb einer Organisation? Der Stoff mit dem Ziele erreicht werden können und der übergeordnete Unternehmenszweck erfüllt werden kann?

Der Erfolgsfaktor, der den guten vom exzellenten Manager unterscheidet, ist – aus unserer Sicht – humanes Führen. Was bedeutet das? Der Humanismus der Renaissance beruhte auf einer optimistischen Einschätzung der menschlichen Fähigkeiten, dank einer bestmöglichen Persönlichkeitsentwicklung zu einer besseren Existenzform zu finden, für sich selbst, den Nächsten und die Gesellschaft. Durch Bildung und Erziehung sollte der Mensch, sich am klassischen Vorbild orientierend, sein Wissen und seine Tugend vervollkommnen.

Und was heißt das jetzt übertragen auf das moderne Management?

Damit die oben genannten Eigenschaften im Alltag wirklich erlebbar werden, ist eine bloße Anhäufung von Wissen nicht ausreichend. Die Lektüre vieler guter Management-Bücher, der Besuch interessanter Seminare macht noch keine Top-Führungskraft. Entscheidend ist die „Tugend“. Und diese zeigt sich im konkreten Verhalten der Menschen.

Neben der Bildung ist also Erziehung ein zentraler Erfolgsfaktor. Sie schmunzeln? Ein solch pädagogischer Begriff im Management? Ja, genau! Erziehung im Sinne einer kontinuierlichen Begleitung als Vorbild und Mentor. Und hierfür braucht es ein heutzutage scheinbar rares Gut: Zeit. Und natürlich muss der Manager als Vorbild fungieren, damit die Mitarbeiter einen Orientierungspunkt haben. Und getragen werden muss dies alles von einer positiven Grundeinstellung, wie schon Goethe wusste: „Behandle die Menschen so, als seien sie, was sie sein sollten, und du hilfst ihnen zu werden, was sie sein können.“

Und welche Erkenntnis lässt sich hieraus jetzt ziehen?

Gratulation, lieber Manager, es hakt in den meisten aller Fälle zunächst bei Ihnen. Deswegen lernen Sie von den Humanisten der Renaissance: Sorgen Sie für die bestmögliche aller Persönlichkeitsentwicklungen bei sich selbst und dann bei Ihren Mitarbeitern, zum Wohle des Einzelnen, der Abteilung und der gesamten Organisation. Investieren Sie in Wissen und Mentoring, eröffnen Sie Ihren Mitarbeitern neue Sichtweisen als Grundlage für alternative Verhaltens- und Reaktionsmöglichkeiten. Befördern Sie eine positive und konstruktive Einstellung innerhalb des gesamten Unternehmens. Und schreiten Sie vorbildhaft in Einstellung und Verhalten voran! Mit anderen Worten: Machen Sie sich humanes Führen zu eigen.