„Warum Unternehmen keine Demokratien sind...“

„Quod licet Iovi non licet bovi.“ Diesen Satz hörten wir als Schüler in periodischen Abständen von unserem Lateinlehrer – immer dann, wenn es darum ging, uns klar zu machen, warum er über Privilegien verfügte, die uns nicht zustanden, z. B. warum er selbst zu spät kommen konnte, während wir pünktlich zu sein hatten: „Was dem Jupiter erlaubt ist, ist dem Ochsen (noch lange) nicht erlaubt.“ Wir Schüler empfanden diese Einstellung als Willkür und fügten uns – notgedrungen.

Deutschland im Jahre 2011: Die Piratenpartei fährt spektakuläre Gewinne bei Landtagswahlen ein und wird als Newcomer am Parteienhimmel gefeiert. Dank Internet, neuer Medien und Liquid Feedback scheint direkte Demokratie in greifbare Nähe gerückt. Ein Jahr später erinnert die Piratenpartei in ihrem kommunikativen Chaos und ihrer Führungslosigkeit an eine 68er WG, in der alles bis ins letzte Detail von allen ausdiskutiert wird, am besten bei einer Tasse grünen Tee. Was der Piratenpartei bis heute fehlt, sind konkrete Ziele und stringente Führung.

Beide Beispiele zeigen, wie Führung innerhalb einer Gemeinschaft nicht funktionieren kann: Quasi-diktatorische Willkür ohne Vorbildfunktion einerseits und Basisdemokratie ohne definierte Ziele andererseits sind die Extreme. Doch wie kann ein Gemeinwesen, eine Organisation oder ein Unternehmen überhaupt gut funktionieren? Was ist der Sinn von hierarchischen Unterschieden innerhalb einer Gruppe von Menschen? Wie entstehen sie? Und wer entscheidet eigentlich darüber, wer zu entscheiden hat?

Im Falle des staatlichen Gemeinwesens liegt die Antwort auf der Hand: Demokratie bedeutet nichts anderes als die Herrschaft des Volkes, das sich durch seine Abgeordneten im Parlament repräsentieren lässt. Diese wiederum wählen nach den Mehrheitsverhältnissen die Regierung, die Kanzlerin entscheidet über die Leitlinien der Politik (oder auch nicht) und ein ausgeklügeltes System von Checks & Balances, Gewaltenteilung und der Bundespräsident (wenn er denn Vorbild ist) sorgen im Regelfall dafür, dass die Dinge im Einklang mit der Verfassung und fair ablaufen. Die meisten Bewohner der westlichen Welt werden wohl zustimmen, dass sie ganz grundsätzlich in einer fairen, demokratischen und chancengleichen Gesellschaft leben, auch wenn sie mit der aktuellen Politik nicht immer zufrieden sind.

Und wie sieht es in Unternehmen aus? Im Gegensatz zu Politikern sind die Geschäftsführer und Vorstände nicht von den Mitarbeitern gewählt, sondern von Eigentümern bzw. Anteilseignern eingesetzt. Oftmals jedoch verhalten sie sich so, als müssten sie den Erwartungen der Mehrheit der Mitarbeiter entsprechen: Strategische Entscheidungen werden delegiert, qualitative Leitplanken werden endlos diskutiert und die Kultur des Miteinanders zur Disposition gestellt. Woher kommt diese Neigung, sich – scheinbar – demokratisch zu verhalten? Wahrscheinlich ist es die Angst, als Autokrat wahrgenommen zu werden, die so manchen Top-Manager in missverstandene, weil allumfassende Partizipation treibt. Und was resultiert bei den Mitarbeitern aus dieser Form von Basisdemokratie? Unsicherheit, eine oftmals destruktive Diskussionskultur, und ein Rangeln um vordere Plätze und Entscheidungsbefugnisse. Schließlich Frustration, weil ja doch irgendwann irgendwer entscheiden muss.

Unternehmen sind im Kern keine Demokratie! Weil es der Verantwortung der Unternehmer und der ersten Führungskräfte obliegt zu entscheiden, strategische Ziele zu definieren, Leitplanken sorgsam zu definieren und Visionen zu entwickeln. Weil Menschen und Mitarbeiter Führung verlangen. Weil sich dem Menschen ein Gefühl von Sicherheit vermittelt, wo dies geschieht. Und weil Menschen in einer sicheren Umgebung kreativ arbeiten können und innovative Ideen entwickeln.

Erfolgreiche Unternehmen bieten gute Beispiele, worauf Erfolg fußt: Visionäre Ansätze, tolle Produkte, ansprechendes Design, Kreativität, ehrliche Dienstleistungsmentalität und ständiges Hinausdenken über den Status Quo, sprich Innovationsfreude. Und vor allem: Irgendwo sitzt ein kluger Kopf und entscheidet, mal intuitiv-assoziativ aus dem Bauch heraus, mal analytisch nach sorgfältigem Abwägen des Für und Widers. Diese Entscheidung muss nicht immer, wenn sie an die Menschen im Unternehmen kommuniziert wird, auf Gegenliebe stoßen. Doch gut kommuniziert geht sie ihren Weg und mögliche Resultate können sein: tolle Produkte, von denen der Konsument bis dato noch nicht wusste, dass er sie braucht; Kampagnen, die sich ins Gedächtnis der Menschen einbrennen; Serviceleistungen, die wirklich ihres Gleichen suchen.

Wie können Sie also als verantwortlicher Manager sowohl basisdemokratischen Tendenzen à la Piratenpartei als auch autokratischen Tendenzen, die Ihre Mitarbeiter als Ochsen dastehen lassen, entgegenwirken?

Unternehmen wie Gemeinwesen können nur dann gut funktionieren, wenn sich die ersten Köpfe getrauen, Entscheidungen zu fällen und diese klar zu kommunizieren. Und um von Ihren Mitarbeitern nicht als willkürlich Herrschender gesehen zu werden, tun Sie sich selbst einen Gefallen und agieren Sie weise und vorausschauend; informieren Sie sich gut, bevor Sie entscheiden; hören Sie Ihre Mitarbeiter an und nutzen Sie deren Kenntnisse; binden Sie sie auf dem Weg zum Ziel mit ein; stehen Sie zu Ihren Entscheidungen und gestehen Sie auch Fehlentscheidungen ein – und vor allem seien Sie Vorbild, verlangen Sie von Ihren Mitarbeitern nur das, was Sie selbst bereit sind zu leisten.

Dem Jupiter meines Lateinlehrers setze ich gerne Platons Staats- und Führungsphilosophie entgegen: die Weisesten unter den Bürgern, die Philosophen sollen die Könige sein. Denn wer sowohl klar entscheidet als auch wirkliches Vorbild ist, dem folgen die Menschen aus innerer Überzeugung – zum Wohle aller!