Familienunternehmen und Nachfolge

Loslassen und neue Lebensinhalte entwickeln um Altes zu stärken

Deutschland im Jahr 2014.

Ein Familienunternehmen im ländlichen Raum. Mittelstand. Branche: Maschinenbau, 200 Mitarbeiter. Der Seniorchef, 73 Jahre jung und rüstig, läuft mit hochrotem Kopf durch die Produktion und blafft einen seiner Mitarbeiter, der seit 30 Jahren für ihn arbeitet, an: „Was haben Sie sich dabei gedacht, die Naht längs zu schweißen? Sind Sie zu dumm, den Plan zu lesen?“...Mit diesen vermeintlichen Fragen wurden binnen weniger Sekunden alle Versuche der Juniorchefs, einen partnerschaftlichen Umgang zu etablieren, zunichte gemacht.

Ein anderes Beispiel. 300 Mitarbeiter, Maschinenbau, ländlicher Raum. Der Seniorchef, 81 Jahre alt, hat das Unternehmen von einer Bastelbude zu einem weltweit agierenden Player gemacht. Er steht als alleiniger Geschäftsführer im Handelsregister. Mit allen Konsequenzen. Wichtige Modernisierungen werden von ihm blockiert. Sein Sohn, der das Unternehmen de facto seit Jahrzehnten führt, - machtlos. Eine Übergangsregelung nicht in Sicht. Die Situation lähmt das ganze Unternehmen.

Zwei Brüder, 58 und 61 Jahre alt, Familienväter, erfolgreiche Unternehmer mit Weitblick und strategischem Verständnis, Chefs von 2500 Mitarbeitern, eröffnen im Gespräch: „Das Projekt würden wir gerne durchziehen. Aber wir bekommen die Investition bei unserem Vater nicht durchgesetzt.“

Deutschland im Jahre 2014? Eine ganze Reihe von Managern, die sich lange Jahre oder gar Jahrzehnte um Ihre Unternehmen verdient gemacht haben, sind gleichsam handlungsunfähig. Und warum? Weil Ihre Väter, die letzten der Gründergeneration der Nachkriegsjahre, zu einer Sache nicht bereit sind: nämlich LOSZULASSEN.

Was ist die Folge davon für die Nachfolger, Mitarbeiter und gesamte Organisationen?

Viele Senioren machen ihre jahrzehntelang erarbeitete Position, den erarbeiteten Respekt und ihr Image im Unternehmen durch ihr Verhalten zunichte. „Der zerstört durch sein Verweilen im Unternehmen sein Lebenswerk“, analysieren langjährige Mitarbeiter. Und drüber hinaus nimmt die Organisation an sich Schaden: Ein gesundes Unernehmen kann beispielsweise im Falle des plötzlichen Todes des Seniors vor dem Abgrund stehen, weil keine Nachfolgeregelungen getroffen sind. Und dort, wo es diese Regelungen geben mag und die Junioren bereits zu Lebzeiten des Seniors als Geschäftsführer eingesetzt sind, wird oft durch das einseitige Eingreifen der Altvorderen in operative Prozesse die Position der Nachfolger geschwächt. Wie soll sich ein operativer Geschäftsführer, den manche Mitarbeiter noch in Windeln über den Hof haben krabbeln sehen, Respekt bei seinen Leuten erwerben, wenn er in den Augen der Belegschaft noch unter der Kandarre des Seniors steht?

Die Konsequenz ist, dass eine ganze Organisation oftmals nicht mehr lenkbar ist und handlungsunfähig wird. Auf gebotene Neuerungen wird nicht mehr reagiert, Entscheidungen werden revidiert oder vertagt, die Innovationskraft versiegt. Schließlich steht das einst prosperierende Unternehmen vor dem Aus. Und die Verantwortung dafür wird dann nicht selten der jüngeren Generation zugeschoben. Eine denkbar undankbare Position!

Wie kommt es eigentlich, dass so viele verdiente Alt-Geschäftsführer mit dem Loslassen ihre liebe Mühe haben?

Sie betrachten das Unternehmen als „ihr“ Unternehmen. Na klar, schließlich haben sie es gegründet oder groß gemacht und zum Erfolg geführt. Sie identifizieren sich mit dem Geschäft. Und waren oftmals über Jahrzehnte mit nichts anderem beschäftigt. Es ist ihr Lebensinhalt. Und plötzlich soll man sich zurückziehen, raushalten, tatenlos zusehen, wie Andere „mein“ Unternehmen führen? Unmöglich!

Was für eine Illusion, zu denken, das Unternehmen gehöre einem! Welch ein Trugschluss! Vermeintliche Sicherheit durch Festkrallen an Position, Besitz, Einfluss – vielleicht sogar Verdrängung des Unvermeidlichen, der Vergänglichkeit, dem unweigerlichen Ende!

Aber: Pantha Rhei – alles fließt. Vergänglichkeit ist Teil des Lebens. Tag und Nacht. Ebbe und Flut. Leben und Tod. Das Leben schreitet voran, Tag für Tag. Auch wenn es manchmal in uns schreit „Oh Augenblick verweile doch, du bist so schön.“: Stellen Sie sich der Realität!

Und das ist dann auch gleich unser Lösungsansatz für viele Familienunternehmen, die an die nächste Generation weitergereicht werden sollen.

Dass es nämlich auch anders gehen kann, zeigen die vielen Beispiele, wie Menschen mit Veränderungen und mit Vergänglichkeit umgehen. Hier der Seniorchef, der die Verantwortung bereits in frühen Jahren komplett an seine Söhne abgegeben hat und als Mentor und Berater zur Verfügung steht. Dort das Familienoberhaupt, das die Zeichen der Zeit erkennt und sich nach einer Übergangszeit völlig aus dem Operativen heraushält und sich auf Weltreise begibt. Oder Tiziano Terzani, der schwer krebskrank vor seinem Tod seine Lebenserfahrungen und Weisheit an seinen Sohn weitergab. Sie sind veröffentlicht und verfilmt worden unter dem Titel „Das Ende ist mein Anfang.“

Was können wir Manager hieraus ziehen und für unser tagtägliches Handeln umsetzen?

Akzeptieren Sie, dass die Dinge im Fluss sind. Nichts ist für die Ewigkeit, auch wenn es manchmal so aussieht. Alles Leihgaben des Lebens auf unbestimmte Zeit.

Wir müssen die Realitäten, die wir nicht verändern können, akzeptieren. Und uns auf alle anderen konzentrieren, sie aktiv anpacken und handeln. Verantwortung für unsere Entscheidungen übernehmen, und uns gleichzeitig darüber bewusst sein, dass die Beurteilung über „richtig“ oder „falsch“ erst viel später möglich sein wird.

Und vor allem: LOSLASSEN. Getroffenen Entscheidungen nicht hinterher hängen. In delegierte Aufgaben nicht operativ eingreifen. Unseren Mitarbeitern bei der Umsetzung von Aufgaben vertrauen. Mikromanagement vermeiden, und gleichzeitig effizient kontrollieren. Akzeptieren, dass andere Menschen anders als wir selbst „ticken“, andere Möglichkeiten und Vorstellungen bejahen und dabei unsere und die Unternehmensziele im Auge behalten. Und uns selbst nicht zu wichtig nehmen. Und dabei hart an den Dingen arbeiten, die wir verändern und beeinflussen können.

Identifizieren Sie sich nicht absolut mit Ihrer Position, Ihrem Job, Ihrer momentanen Macht im Unternehmen. Planen und agieren Sie so, dass ein anderer jederzeit das Ruder übernehmen kann.

Und dann werden Ihre Leistungen und Ergebnisse auch dann noch Bestand haben, wenn wir selbst lange schon nicht mehr da sind.